0. CIM - Stand in Entwurf und Implementation

Die Industrie der Welt ist auf dem Weg zu CIM, der durchgängig automatisierten Produktion. "Computer Integrated Manufacturing" (CIM) ist in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zu einem internationalen Modewort geworden. Was ist CIM, wie ist der Stand der Einführung in die Produktion?

CIM bedeutet: computergestützte Planung und Leitung von Unternehmen von der Marktanalyse über Entwurf, Produktion, Marktvorbereitung bis zum Absatz der Erzeugnisse. CIM ist mehr als die bloße Vereinigung von CAD (Computer Aided Design) und CAM (Computer Aided Manufacturing). CIM ist die integrale Verbindung von Produktion und Management unter Nutzung moderner Hard- und Software. Aus heutiger Sicht sind dafür alle verfügbaren Arten von Rechentechnik, bei 8-Bit-Rechnern für kleinere Aufgabengebiete angefangen bis zu 32-Bit-Workstations für umfangreiche Arbeiten, einsetzbar. Weitere Voraussetzungen sind leistungsfähige Rechnernetze und periphere Geräte.

Von der Internationalen Organisation für Standards (ISO) ist ein CIM-Modell erarbeitet worden, das unter dem Namen Factory Automation Model bekannt geworden ist (NORFORS). Es bestimmt sechs Ebenen von CIM-Systemen.


Das Factory Automation Model besitzt m.E. wesentliche Nachteile, auf die aber erst am Ende dieser Arbeit eingegangen werden soll.

Wie sieht der derzeitige Stand bei der Durchsetzung von CIM-Konzepten aus? Die folgenden Aussagen stützen sich hauptsächlich auf den "CIM - state of the art report" (EVANS).

Nirgend ist bisher CIM im anfangs beschriebenen Umfang realisiert worden. Eine gelungene Verbindung von CAD mit CAM wird häufig bereits zu einem installierten CIM-System gerechnet (Anderson Strathclyde plc), wobei selten klar wird, worin diese Verbindung besteht. Oft steckt nicht mehr dahinter als der Transfer von NC-Programmen, die von einer CAD-Station erzeugt werden, zu einer Maschinensteuerung (Renishaw Metrology Ltd.).

Eine effektive CIM-Implementation scheint IBM UK Ltd. (Großbritannien) gelungen zu sein. Das Werk stellt Speichermedien (Disketten, Festplatten) her. In diese Lösung fließen ökonomische Faktoren, Kostentrends und andere Aspekte des Managements ein. Günstig wirkt sich dabei aus, daß die Erzeugnisentwicklung in den IBM Hursley Laboratories in unmittelbarer Nähe des Werkes (25 Meilen) angesiedelt ist und, wie aus dem Firmennamen hervorgeht, zum gleichen Unternehmen gehört. So kann schnell und flexibel auf die Erfordernisse des Marktes reagiert werden (s. EVANS pp. 209-215).

Eine Schlüsselposition in vielen CIM-Systemen nehmen Flexible Fertigungssysteme (Flexible Manufacturing Systems - FMS) ein. Die Bedeutung von FMS für CIM ist umstritten. Von Produzenten wird vielfach schon der Betrieb eines FMS als "CIM-Lösung" angepriesen, für "CIM-Theoretiker" stellen FMS aufgrund ihrer relativen Abgeschlossenheit eine Sackgasse auf dem Weg zu CIM dar ("For the time being the FMS domain remains an island." EVANS p.194).

IBM UK Ltd. und andere Beispiele zeigen jedoch, daß FMS durchaus nicht Insellösungen sein müssen, sondern in CIM-Systeme integriert werden können. Die Widersprüche bei der Beurteilung von FMS erwachsen aus der Definition eines solchen. Wenn zu den Bestandteilen eines FMS lediglich CNC-Zentren (CNC - Computer Numerical Control), Werkstück- und Werkzeugvielfalt, automatische Überwachungsmöglichkeiten, umfangreiche Materialhantierungsfähigkeiten nebst einem Steuerungsrechner, der die CNC-Programme zu speichern hat (ebenda.), gezählt werden, muß zwangsläufig ein geschlossenes System entstehen. Da die materiellen Wechselwirkungen mit der Umgebung sich hier nicht auch in informationellen Relationen widerspiegeln, bleibt ein solches System eine Insellösung.

Eine andere Definition unterteilt ein FMS in drei Bestandteile: Maschinen, Werkstücktransport und -bearbeitung sowie Werkzeugtransport und -bearbeitung. Die Flexibilität eines FMS hängt von der Flexibilität dieser Bestandteile und der des zentralen rechnergestützten Management-Systems (Central Computerized Management System - CCMS) ab. Dabei besteht die Hauptschwierigkeit darin, ein effektives CCMS (wir werden später den Begriff "Steuerungssystem" verwenden) zu erhalten (SINGH p.1633).

Die Steuerung eines FMS scheint in der Tat allen Entwicklern die größten Sorgen zu bereiten. Es gibt zwar verschiedene Steuerungsstrategien, diese basieren jedoch auf vorgelagerten Simulationen und können somit keine Ausnahmefälle hantieren. Ausgehend von einem bestimmten Zustand der Produktion wird eine Simulation unter Berücksichtigung verschiedener Optimierungskriterien durchgeführt, nach deren Ergebnis das FMS gesteuert wird (s. NEUPERT, BEN-ARIEH et.al., SINGH pp.1642-1649 Flexible Manufacturing Systems: Modelling and Simulation). Diese Ergebnisse, die oft eine verblüffende Optimalität zeigen, werden unbrauchbar, sobald im Ablauf Unregelmäßigkeiten auftreten. Und hier beginnen die Schwierigkeiten dieser Steuerungskonzepte.

Diese Schwierigkeiten sind im CAMARS-Steuerungskonzept bereits seit 1983 überwunden (STAHN/ENGELIEN 1983). Hier zahlte sich die "Rückständigkeit in der DDR" auf dem Hardware-Gebiet einmal aus, da dieses Konzept von der Prämisse "Die Produktion muß gewährleistet werden, egal wie optimal!" ausgehen mußte. Dies führte dazu, eine strikte Trennung von gesteuerten und steuernden Prozessen einzuführen. Dabei berücksichtigten die steuernden Prozesse vorerst nur den aktuellen Zustand der gesteuerten Prozesse und trafen ihre Entscheidungen ausschließlich in Abhängigkeit von diesen. Vorausschauende Simulation, "Operative Planung" genannt, kam erst später hinzu (DOETZKIES 1985). Mit diesem Konzept können oben beschriebene Schwierigkeiten immer abgefangen werden, im Extremfall durch Ignorieren der Planungsergebnisse.

Diese Vorgehensweise wird in der vorliegenden Arbeit dargestellt. Dabei wird, ausgehend von der Trennung von Basis und Steuerung, der Entwurf von Steuerungssystemen in Abhängigkeit von der zu steuernden Basis beschrieben.

Letzten Endes stellt dieses Verfahren nichts anderes dar, als die Benutzung eines Modells für die unmittelbare Steuerung. Ein Simulationsmodell hat in der Regel nicht so viele Spezialfälle zu berücksichtigen wie ein Modell, das für die Steuerung verwendet wird. In SINGH werden eine Vielzahl von Modellierungsverfahren unter dem Stichwort "Simulation Modelling Formalism" betrachtet.

Modelle, die hauptsächlich auf mathematisch-analytischen Verfahren beruhen, sind m.E. für eine konkrete Steuerung unbrauchbar, da in realen Systemen eine Vielzahl von Ausnahmen existieren können, die nicht oder nur schwer in Gleichungen zu fassen sind. Für die Modellierung von FMS werden heute meist PETRI-Netze (FENSCH, HOHMANN) oder Netze der Bedientheorie (queueing net works, ZIJM) verwendet. Diese ermöglichen konkrete Aussagen über das Kurz- und Langzeitverhalten von FMS. Auf einige dieser Aussagen werden wir später noch zurückkommen.

Muß ein Produktionprozeß in seiner Komplexität modelliert werden, sind diese Konzepte nicht mehr anwendbar. Sämtliche Spezialfälle müßten nun dargestellt werden. Hier versagen sowohl die Bedientheorie als auch die PETRI-Netze, da die resultierenden Netze sehr schnell groß und unübersichtlich werden. Sie könnten durch einen Steuerrechner wahrscheinlich noch beherrscht werden, sind aber für den Menschen nicht mehr durchschaubar. Nachträgliche Änderungen oder Erweiterungen lassen sich an diesen Modellen nur mit großem Aufwand durchführen.

Die Modellbildung auf Grundlage der CAMARS-Technologie kann sowohl für Steuerungs- als auch für Simulationszwecke genutzt werden. Sie basiert auf einer detaillierten Analyse der zu steuernden Prozesse, führt aber nicht zu unübersichtlichen, sondern zu hierarchischen Strukturen. Dabei werden nicht nur die zu steuernden Prozesse hierarchisch untergliedert, sondern auch die zu steuernden Systemelemente (Maschinen, Roboter, Transporteinrichtungen...) und Operanden (Werkstücke, Werkzeuge, Paletten...). Aus diesen Strukturen kann die Hierarchie der Steuerung direkt abgeleitet werden, deren Notwendigkeit bereits anerkannt ist (Factory Automation Model, GOULD, u.v.a.).

Dafür, daß das Wesen einer Steuerungshierarchie in der Hierarchie der gesteuerten Basis begründet liegt, existieren bisher keine internationalen Veröffentlichungen. Diesen Zusammenhang von Basis und Steuerung übersichtlich darzustellen, ist das erklärte Ziel der vorliegenden Arbeit. Er wird am Beispiel des Entwurfs und der Implementation der Steuerung eines Flexiblen Fertigungssystems an schaulich illustriert.


Die Struktur der Basis bestimmt die Struktur der Steuerung. Dieser Grundsatz gilt für alle zu entwickelnden Steuerungssysteme. Setzte er sich bisher mehr oder minder intuitiv durch, so ist diese Arbeit ein Weg zu seiner bewußten Anwendung. Das ist mit einer spezifischen Vorgehensweise verbunden, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, die Modellierung und Implementation auf der Basis von Zustandsgraphen.

Steuerungssysteme, in denen dieser Grundsatz nicht oder ungenügend berücksichtigt wurde und wird, waren und sind zum Tode verurteilt, ihre Basis aber lebt weiter und der arbeitende Mensch übt die Steuerungsfunktionen aus, die eigentlich der Kollege Computer ausführen sollte.


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Dr. Uwe Doetzkies

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