Thesen zur Arbeit
Basis, Steuerung und kooperierende Zustandsgraphen
Der Fakultät für Elektrotechnik/Elektronik
des Wissenschaftlichen Rates der Technischen Universität Dresden
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor eines Wissenschaftszweiges (Dr.-Ing.)
vorgelegte Dissertation
von Dipl.-Ing. Doetzkies, Uwe
1. Allgemeine Charakteristik der Arbeit
Die Industrie der Welt ist auf dem Weg zu CIM, der durchgängig
automatisierten Produktion. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die
Flexiblen Fertigungssysteme (FMS). Diese werden derzeit in der Regel durch
vorausschauende Simulation gesteuert. Das hat aber den Nachteil, auf Störungen
in der Fertigung nicht schnell genug reagieren zu können. Die daraus
erwachsenden Schwierigkeiten können mit solchen Steuerungskonzepten
nicht schnell genug kompensiert werden.
Die CAMARS-Technologie des Steuerungsentwurfs geht vom aktuellen Zustand
des gesteuerten Prozesses aus. Sie ist unabhängig von vorgelagerten
oder übergeordneten Planungsprozessen, kann aber deren Ergebnisse
berücksichtigen.
Grundlage des Steuerungsentwurfes ist die Analyse der zu steuernden
Basisprozesse. Die Basisanalyse mit den drei Komponenten Basisprozeß-,
Basissystem- und Basisoperandenanalyse führt zu einer hierarchischen
Beschreibung der Basis. Es wird gezeigt, woraus diese Teile der Basisanalyse
bestehen und wie sie zusammenwirken.
Aus dem Ergebnis der Basisanalyse wird die Steuerungsprozeßstruktur
abgeleitet. Dazu wird jedem Basisprozeß eindeutig ein Steuerungsprozeß
zugeordnet, der für die Durchführung des Basisprozesses verantwortlich
ist. In der Arbeit wird erstmals gezeigt, wie die hierarchische Struktur
der Basis die Struktur des Steuerung bestimmt.
Die Aufgaben eines Steuerungsprozesses hängen von den zu steuernden
Prozessen ab. Es muß eine erneute Basisanalyse bezüglich dieses
Steuerungsprozesses durchgeführt werden, mit dem Ziel, seine Entitäten
zu bestimmen. Entitäten sind informationelle Operanden der Steuerung,
denen eineindeutig Elemente der gesteuerten Basis zugeordnet sind. Die
Gesamtheit der Entitäten eines Steuerungsprozesses stellt dessen Modell
von seiner Basis dar.
Die Prozesse, die an Entitäten ausgeführt werden, können
mit Zustandsgraphen beschrieben werden. Damit kann ein Steuerungsprozeß
als ein System miteinander kooperierender Zustandsgraphen betrachtet werden.
Die Beschreibung der Transitionsregel in Zustandsgraphen legt den Gedanken
nahe, alle Transitionen durch ein spezielles Software-Werkzeug, den Zustandsgrapheninterpreter,
ausführen zu lassen. Mit Hilfe dieses Werkzeugs ist eine einfache
und überschaubare Implementation des Steuerungsentwurf möglich.
Nach einer Darstellung des Zustandsgrapheninterpreterkonzepts wird die
Vorgehensweise beim CAMARS-Steuerungsentwurf beschrieben. Zur Illustration
dieser wird der Entwurf einer Steuerung für ein FMS genutzt. Dieses
Beispiel basiert auf den Steuerungssystemen für die Flexiblen Fertigungssysteme
FMS 2200 und FMS 2500, die mit dem dargestellten Verfahren entworfen und
implementiert wurden. Dabei beschränkt sich das Beispiel nur auf die
zum Verständnis der Methode geeigneten Sachverhalte, stellt also keine
vollständige Beschreibung der Steuerungssysteme der genannten FMS
dar.
2. Thesen zum Inhalt der Arbeit
- CIM bedeutet: computergestützte Planung und Leitung von Unternehmen
von der Marktanalyse über Entwurf, Produktion, Marktvorbereitung bis
zum Absatz der Erzeugnisse. CIM ist mehr als die bloße Vereinigung
von CAD (Computer Aided Design) und CAM (Computer Aided Manufacturing).
CIM ist die integrale Verbindung von Produktion und Management unter Nutzung
moderner Hard- und Software.
- Die Modellbildung auf Grundlage der CAMARS-Technologie kann sowohl
für Steuerungs- als auch für Simulationszwecke genutzt werden.
Sie basiert auf einer detaillierten Analyse der zu steuernden Prozesse
und führt zu hierarchischen Strukturen in Basis und Steuerung. Das
Wesen einer Steuerungshierarchie liegt in der Hierarchie der gesteuerten
Basis begründet.
- Jede Operation ist die zielgerichtete Einwirkung von Operatoren auf
Operanden stofflicher, energetischer oder informationeller Art, die zu
einer definierten Zustandsänderung der Operanden führt. Die Gesamtheit
aller möglichen Operationen an einem Operanden kann durch Zustandsgraphen
angegeben werden. Ein Prozeß ist eine Struktur auf Operationen. Seine
Natur ist die einer komplexen Operation. Strukturen auf Prozessen können
wieder wie Prozesse hantiert werden.
- In Zustandsgraphen für Operanden wird die Transitionsregel in
der Form "Befindet sich ein Operand im Zustand z1 und sind die mit
x beschriebenen Bedingungen erfüllt, so geht der Operand durch Ausführung
der Operation y in den Zustand z2 über." interpretiert. Diese
Beschreibung impliziert die Idee, die Ausführung einer Transition
durch ein spezielles Software-Werkzeug, den Zustandsgrapheninterpreter,
zu realisieren.
- Der Zustandsgrapheninterpreter SIRIUS 2.2 stellt die rechentechnische
Realisierung des Prozesses der Ausführung einer Transition in einem
Zustandsgraphen eines informationellen Operanden dar. Informationeller
Operand und Zustandsgraph sind die Operanden des Zustandsgrapheninterpreters.
Die Menge der informationellen Operanden ist dynamisch. Die Anzahl der
gleichzeitig existenten informationellen Operanden kann beliebig groß
sein und ist nur von den Hauptspeicher- bzw. Plattenkapazitäten des
verwendeten Rechners abhängig. Die Menge der Zustandsgraphen ist für
ein gegebenes Programmsystem statisch und wird durch das Aufbereitungsprogramm
bestimmt. Die Anzahl der Zustandsgraphen entspricht der Anzahl der unterschiedlichen
Prozesse. Sie kann ebenfalls beliebig hoch sein.
- Prozeßsteuerung ist die Steuerung eines Prozesses an stofflichen,
energetischen und/oder informationellen Operanden durch einen informationsverarbeitenden
Prozeß.
_________________________
informationelle | | informationelle
--------------->| Steuerungsprozeß |---------------->
Operanden |_________________________| Operanden
| ^
| inf. Opd. |
V |
_________________________
stoffl.,energ. | | stoffl.,energ.
===============>| Basisprozeß |================>
u/o inf. Opd. |_________________________| u/o inf. Opd.
Fundamentalrelation zwischen Basis- und Steuerungsprozeß
- Jeder Steuerungsprozeß ist für die Ausführung einer
Menge von Basisprozessen verantwortlich. Diese Menge ist nicht konstant,
sie unterliegt zeitlichen Veränderungen. Der Steuerungsprozeß
muß stets ein hinreichend genaues Modell der Basis führen. Ein
derartiges Modell muß alle für einen konkreten Steuerungsprozeß
wesentlichen Basiselemente enthalten. Die in diesem Modell enthaltenen
Basiselemente heißen Entitäten der Steuerung. Entitäten
sind Operanden eines Steuerungsprozesses, denen eineindeutig Elemente der
zugehörigen Basis zugeordnet sind.
- Mit der Erarbeitung eines Modells der Basis befaßt sich die Basisanalyse,
deren wichtigstes Ergebnis eine Hierarchie von Basisprozeßstrukturen
ist. Sie besteht aus drei Teilen. Die zentrale Stellung nimmt dabei die
Basisprozeßanalyse ein. Die anderen Komponenten sind Basissystem-
und Basisoperandenanalyse. Die Basisanalyse ist sowohl ein iterativer als
auch ein rekursiver Prozeß.
- Das Ziel der Basisprozeßanalyse ist die Erarbeitung der Struktur
des Basisprozesses. Die Basisprozeßanalyse umfaßt:
- die Klassifizierung der gestellten Aufgaben,
- die Erarbeitung der Prozeßstruktur für jede Aufgabe oder
Aufgabenklasse,
- die Aufstellung und Klassifikation der in der Basis existierenden Operanden,
- die Zuordnung von Teilprozessen zu Systemelementen, die die Ausführung
dieser Teilprozesse übernehmen,
- die Zuordnung weiterer wesentlicher Informationen zu den Elementen
der Prozeßstruktur (Operationszeit, Anforderungen der Prozesse an
die Eingangsoperanden und/oder Systemeinheiten...).
- Die Basisoperandenanalyse wird durchgeführt, um die Beziehungen
der Operanden der Basis, die im Gegensatz zu den Steuerungsoperanden stofflicher,
energetischer und/oder informationeller Natur sein können, untereinander
zu erkennen. Sie muß folgende Aufgaben lösen:
- Erkennen und Klassifizieren der Basisoperanden und der an ihnen ausführbaren
Prozesse,
- Strukturfindung auf der Menge der Operanden auf der Grundlage der "benötigt"-Relation.
- Prüfung der Widerspruchsfreiheit der gefundenen Strukturen in
Bezug auf die Basisprozeßstruktur bzw. Überführung der
Operandenstruktur in eine Prozeßstruktur,
- Analyse von wesentlichen Eigenschaften und bestehenden Restriktionen
für die Basisoperanden,
- Bestimmung der durch Eigenschaften und Restriktionen zusätzlich
notwendigen Prozesse (falls vorhanden muß ein neuer Iterationsschritt
der Basisprozeßanalyse eingeleitet werden).
- Ziel der Basissystemanalyse ist die Erarbeitung der Basissystemstruktur.
Dabei sind folgende Aufgaben zu lösen:
- Festlegen der Basissystemelemente und ermitteln der Prozesse, die sie
ausführen können,
- Finden der Struktur auf den Basissystemelementen (i.a. Erreichbarkeitsrelation),
- Prüfen der Widerspruchsfreiheit von Basissystem und -prozeßstruktur,
- Analyse der Restriktionen des Basissystems,
- Bestimmung von notwendigen Prozessen, die aus den Restriktionen des
Basissystems resultieren.
- Das Ergebnis der Basisanalyse besteht aus einer Hierarchie von Prozeß-,
System- und Operandenstrukturen. Die Hierarchieebenen ergeben sich aus
der rekursiven Anwendung der Prinzipien der Basisanalyse. Dabei entsteht
zwangsläufig eine hierarchische Prozeßstruktur, während
System- und Operandenstrukturen nicht unbedingt auf jeder Ebene angegeben
sein müssen.
- Auf der Grundlage der Fundamentalrelation kann jedem Basisprozeß
eindeutig ein Steuerungsprozeß zugeordnet werden. Dieser ist für
die Ausführung des Basisprozesses verantwortlich. Es entsteht eine
Steuerungshierarchie, die nicht unbedingt den "klassischen" Formen
von Koordinationssteuerungen entsprechen muß.
- Damit die Prozesse der Steuerung entsprechend ihren Aufgaben zusammenarbeiten
können, muß ein Kommunikationsmedium vorhanden sein. Alle Prozesse,
die miteinander verbunden sind, müssen Zugriff zu diesem Medium besitzen.
Der Inhalt der Kommunikation wird durch Anwender- (A-) Protokolle festgelegt.
- Ein Steuerungsprozeß kann hinreichend durch seine Entitätsstruktur
und die Zustandsgraphen seiner Entitäten beschrieben werden. Eine
Entität ist ein Operand der Steuerung, dem eineindeutig ein Basiselement
zugeordnet ist. Entitäten sind ihrem Wesen nach Operanden. Durch die
eindeutige Zuordnung von Zustandsgraphen zu ihnen repräsentieren sie
gleichzeitig die an ihnen auszuführenden Steuerungsprozesse.
- Durch die Gesamtheit der Entitäten wird das Modell der Basis in
der Steuerung beschrieben. Dazu gehören neben den aktuellen Zuständen
der Basiselemente auch deren gegenseitige Beziehungen, die durch die Basisanalyse
gewonnen wurden. Auf der Grundlage dieses Modells kann der Steuerungsprozeß
den ihm zugeordneten Basisprozeß steuern.
- Die Beziehungen zwischen den Elementen der Basis widerspiegeln sich
in Wechselwirkungen zwischen Entitäten derart, daß Transitionen
einer Entität Transitionen bei einer anderen Entität auslösen
können. Es existiert eine Entitätsstruktur, die ihrem Wesen nach
eine operandenbewertete Prozeßstruktur, in der die Operanden Nachrichten
sind, ist.
- Jedes Basiselement kann eine Entität der Steuerung werden. Es
ist aber nicht notwendig, daß jedes Basiselement zur Entität
wird. Die Steuerung einer universellen Basis enthält keine Entitäten.
- Die an den Entitäten auszuführenden Prozesse können
durch Zustandsgraphen beschrieben werden, die folgende Anforderungen erfüllen
müssen:
- Jeder Zustand muß eine bestimmte Bedeutung für die Steuerung
besitzen. Ihm muß eine Semantik zugeordnet werden können.
- Jede Transition muß direkt oder indirekt aus Eingängen des
Steuerungsprozesses resultieren und direkt oder indirekt zu Ausgaben des
Prozesses oder wesentlichen Zustandsänderungen anderer Entitäten
führen können.
- Der Entwurf der Zustandsgraphen muß für jedes Zustandsmerkmal
mit kleinem Zustandsraum erfolgen. Im funktional-logischen Entwurf der
Zustandsgraphen müssen die in der Entitätsstruktur angegebenen
Beziehungen zum Ausdruck kommen. Sachverhalte, die schon durch die Basisanalyse
beschrieben wurden, dürfen nur in die Zustandsgraphen aufgenommen
werden, wenn sie ausreichend allgemein sind.
- Der funktional-logische Entwurf der Zustandsgraphen enthält keine
implementationsspezifischen Elemente, auch nicht solche, die vom später
verwendeten Interpreter (z.B. SIRIUS 2.2) abhängen. Die Datenstrukturen
stellen hier noch Zuordnungen von Informationen oder Entitäten zu
den Prozessen oder Entitäten dar.
- Der Implementationsentwurf stellt die Überführung des funktional-logischen
Entwurfs in eine Form, an die sich die Implementierung unmittelbar anschließen
kann, dar. Er ist äußerlich dadurch gekennzeichnet, daß
Mittel und Darstellungsarten von funktional-logischem Entwurf und programmierungstechnischer
Realisierung gemischt auftreten. So entworfene Softwaresysteme können
mit Hilfe eines Zustandsgrapheninterpreters implementiert werden.
- In der Erkenntnis der Entitäten, ihrer Beschreibung mit Zustandsgraphen
und der Nutzung dieser für die Implementation von Steuerungen besteht
das Wesen der CAMARS-Technologie. Die Steuerungssysteme des FMS 2200 und
des FMS 2500 sind mit dieser Technologie entstanden. Ihre Funktionstüchtigkeit
ist in der Praxis nachgewiesen. Der wesentliche Vorteil dieser Lösungen
besteht darin, die Steuerbarkeit des Basisprozesses in jeder Situation
zu sichern.
Original © 1990 by Dresden University
of Technology; Dept. of Information Science; Applied Computer Science