Grundideen für die Verteidigung
(Erste Gedanken zur Problematik)
CAM läßt sich heutzutage nicht mehr losgelöst von CIM-Konzepten
betrachten. Die Analyse verschiedener CIM-Konzepte in Bezug auf CAM ergibt:
- Jede größere Firma, die etwas auf sich hält, beschäftigt
sich heutzutage mit CIM. Sei es als Anwender (Automobil-Industrie, Maschinenbau)
oder als Hersteller elektronischer Steuerungen (IBM, Siemens).
- Die Anzahl der existierenden CIM-Konzepte ist mindestens so groß
wie die Anzahl der damit beschäftigten Firmen. Neben den Firmenkonzepten
werden in Universitäten und Hochschulen weitere CIM-Konzepte entwickelt.
Allen CIM-Konzepten ist gemeinsam, daß sie nur von dem CIM-Konzept
sprechen und dabei ihr CIM-Konzept meinen.
Die Probleme der derzeitigen CIM-Konzepte bestehen darin:
- Die Prozeßsteuerung als Teil der Planung ist nicht in der Lage,
schnell und optimal auf Abweichungen vom Produktionsplan zu reagieren.
Da optimale Pläne nur durch umfangreiche Berechnungen zu erstellen
sind, die Wechselwirkungen auf der untersten Ebene aber sehr komplex sind,
sind Reaktionen auf einfachste Störungen ebenfalls aufwendig zu realisieren.
Zusätzlich kommt die Forderung nach Echtzeit hinzu. Daraus ergibt
sich für alle CIM-Konzepte: Wir brauchen für die Produktionssteuerung
"Künstliche Intelligenz" und noch schnellere Rechner. Glücklicherweise
scheint die Hardware-Entwicklung noch nicht am Ende zu sein, es gibt immer
wieder schnellere Rechner, die irgendwann auch billiger werden, nämlich
dann, wenn noch schnellere Rechner auf den Markt drängen. Doch kann
die Software-Krise überwunden werden, indem die Hardware-Entwicklung
forciert wird?
- Armeen von Systemanalytikern und Mathematikern entwickeln ständig
neue Algorithmen und Verfahren zu optimalen Steuerung von Produktionsprozessen.
In dem Drang, ein gegebenes Problem immer vollständiger und "optimaler"
zu lösen werden die Verfahren immer spezieller, undurchschaubarer
und fehleranfälliger. In der Regel sind sie in der Praxis nicht zu
verwenden, da sie trotz aller Komplexität nicht in der Lage sind,
alle Gegebenheiten zu berücksichtigen. Außerdem sind sie nicht
erweiterbar und besitzen einen immer kleineren Geltungsbereich. Jeder Arbeiter,
der ein Teil mit Hilfe des Hallenkrans von einer Maschine nehmen kann ohne
das gesteuerte Transportsystem zu nutzen, kann die mit hohem Aufwand berechnete
Optimallösung wertlos machen und doch zu besseren Produktionsergebnissen
gelangen. Einfache FIFO-Algorithmen erzielen meistens schon gute Ergebnisse
in wesentlich kürzerer Zeit.
- In CIM-Konzepten ist in der Regel auch ein Leitstand vorgesehen. Die
Aufgabe dieses Leitstandes besteht darin, manuelle Eingriffe in den Prozeßablauf
zu ermöglichen. Er befindet sich auf der Ebene der Systemsteuerung.
Je größer das System ist, desto umfangreicher müssen die
Leitstandsfunktionen gestaltet werden, desto mehr Unterstützung muß
dem Leitstandspersonal gegeben werden. Hier besteht die Notwendigkeit,
Decision Support Systeme zu implementieren, die wiederum nicht ohne KI
auskommen können. Außerdem werden schnelle graphische Ausgaben
verlangt, womit wir wieder beim Widerspruch zwischen Hard- und Software-Entwicklung
angelangt wären.
- Die Entwicklung schnellerer und immer vollkommenerer Hardware hat dazu
geführt, daß es heute CAD-Systeme wie Sand am Meer gibt. Nun
wird darum gerungen, verbindliche Schnittstellen von CAD zu den anderen
CIM-Komponenten festzulegen. Jedes Unternehmen besitzt jedoch seine Spezifika,
die durch Art, Größe oder Geschichte des Unternehmens und durch
eine Vielzahl anderer Faktoren bestimmt sind. So viele Unternehmen es gibt,
so viele Datenbank-Strukturen, Stücklisten oder Produktionspläne
gibt es auch. Selbst wenn sich ein Unternehmen an Standards oder Quasistandards
orientiert, werden irgendwo doch Abweichungen im Sinne der effizienten
Arbeit getroffen worden sein. Oder man hält sich aus Gründen
des Geheimnisschutzes an keine Standards. Schon die Einbindung eines konkreten
CAD-Systems in ein konkretes CIM-Konzept dürfte, so gesehen, arge
Schwierigkeiten bereiten. Der Ausweg, das CAD-System zu benutzen, daß
der Konzeptanbieter vertreibt ist für die meisten Unternehmen nicht
rentabel, da dieses System entweder nicht alle Anforderungen des Unternehmens
erfüllt oder die schon vorhandenen Unternehmensdaten nicht nutzen
kann. Meist trifft beides zu. Und ... warum sollte, was für die Einbindung
von CAD-Systemen in CIM-Konzepte gilt, nicht auch für andere Komponenten
gelten?
Neben diesen Problemen, mit denen die CIM-Konzepte zu kämpfen haben,
existiert noch eine weitere Form des CIM-Dilemmas. Diese liegt aber nicht
in einem Konzept begründet und wird daher auch nicht von den Konzepten
berücksichtigt. Dieses Problem erschließt sich nur denen, die
sich mit mindestens zwei CIM-Konzepten beschäftigen. Es wird durch
folgende Fragestellung sichtbar: "Gegeben sind zwei CIM-Konzepte,
die durch mehr oder minder aussagekräftige Graphiken dargestellt werden.
Abstrahieren wir von der Form der Graphik, so erhalten wir eine Struktur
der CIM-Komponenten. Da beide Konzepte richtig sind (sein sollen), müssen
die Strukturen mindestens homomorph zueinander oder zu einer dritten, noch
zu findenden Struktur sein. Diese Homomorphie muß gefunden werden,
aus ihr kann die Qualität des Konzeptes abgeleitet werden."
So, und nun geht das Grübeln los: zwei Konzepte, zweimal CIM und
doch so verschieden voneinander, Siemens' CAI, Scheers Y-Diagramm, das
Factory Automation Model oder, oder ...
Zu guter Letzt noch ein Hieb in eigener Sache: Es dürfte kaum einen
ernstzunehmenden Wissenschaftler geben, der die Fundamentalrelation
zwischen Basis und Steuerung nicht anerkennen würde, sobald sie
ihm erst einmal dargelegt wird. Da diese Relation so einfach überschaubar
ist, kann sie auch als CIM-Konzept durchgehen. Doch wo findet sie sich
in den anderen Konzepten wieder, sie ist nicht erkennbar. Doch was allgemein
gilt, muß auch speziell gelten. Einmal auf dieses Problem gestoßen,
kann jedes CIM-Konzept mit der Bemerkung durchgehen, daß nur die
Steuerung dargestellt wird, soll heißen, dies ist die Struktur, die
homomorph zu jedem CIM-Konzept ist.
Nun geht's aber weiter: Ist die Bedeutung der Fundamentalrelation einmal
anerkannt, so kann man sich auch nicht der Tatsache verschließen,
daß sich die Steuerung nach der Basis zu richten hat, und das nicht
nur, weil es schon Marx erkannt hat. Nun hält aber kein CIM-Konzept
der Frage nach seiner Begründung stand, solange es sich nicht durch
die Struktur seiner Basis begründen kann. Woraus erstens der intuitive
Charakter aller bisherigen CIM-Konzepte erhellt, und zweitens die grundlegende
Rolle der Basisanalyse (die Dreieinigkeit von Basisoperationen, -operatoren
und -operanden) begründet wird.
Und nun zeigt es sich, daß jedes Steuerungssystem durch Strukturen
dieser Basiselemente bestimmt wird. Diese Strukturen sind erkennbar und
klassifizierbar. Und ... auf der Grundlage dieser Strukturen ist eine Steuerung
unter allen Umständen möglich, eine Steuerung, die ohne optimierende
Planung auskommt. Die Planung ist nichts weiter als eine Steuerung der
Steuerung oder besser: Die Planung liefert die Vorgaben, die die Steuerung
berücksichtigen sollte (bzw. muß), solange der Zustand der Basis
nicht vom vorausberechneten Zustand abweicht.
Und genau diesen Ansatz beherrscht die CAMARS-Technologie bereits. Notwendig
ist nun folgendes: Es muß gelingen, für jede Art von Basisprozeß
eine möglichst gute Planung zu finden. Um Mehrfachentwicklungen zu
vermeiden, müssen die existierenden Lösungen auf ihren Anwendungsbereich
für bestimmte Klassen von Basisstrukturen untersucht werden.
Original © 1990 by Dresden University
of Technology; Dept. of Information Science; Applied Computer Science